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Vorwort zum Grundgesetz |
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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland |
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Vorwort zum Grundgesetz von Prof. Dr. Jutta Limbach
(SPD), ehem. Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und Mitglied
des Weisenrates vom Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte und Grundfreiheiten
Am 1. September 1948,
also vor 50 Jahren, versammelten sich in Bonn im Museum König
die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, um eine
demokratische Verfassung zu erarbeiten. In rund neun Monaten
entwarfen sie ein Grundgesetz, das als eine Übergangsverfassung
das staatliche Leben in den drei westlichen Besatzungszonen
vorläufig ordnen sollte. Wider erwarten war dieser Verfassung,
die sich im Ost-West-Konflikt als die überlegene erwiesen hat,
Dauer beschieden. Sie überdauerte das Ende der deutschen
Teilung und wurde schließlich zur gesamtdeutschen Verfassung.
Auch diejenigen, die die wiedergewonnene Einheit
Deutschlands gern zum Anlaß für einen gemeinsamen
Verfassungsdiskurs genommen hätten, teilen den Stolz auf das
Grundgesetz.
Unter der Herrschaft dieser Verfassung
haben die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland
bald ein halbes Jahrhundert in Frieden gelebt. Die zunehmende innere
Souveränität unserer Demokratie ist gewiß auch den
charakteristischen Vorzügen des Grundgesetzes zu danken. Ein
Geheimnis seiner Leistungsfähigkeit liegt darin begründet, daß es
sich nicht in einem Arsenal politischer Instrumente für
politische Zwecke erschöpft. Auf den Spuren der Verfassung der
Paulskirche haben die Autoren des Grundgesetzes das
Staatsorganisationsrecht mit den Grundrechten zur einer Einheit
zusammengefasst.
Die bittere Erfahrung der
vorausgegangenen Diktatur hatte sie gelehrt, daß die Demokratie
ohne die Geltung der Grundrechte nicht bewahrt werden kann.
Diese Einsicht veranlasste die Frauen und Männer des
Parlamentarischen Rates, die Menschen- und Freiheitsrechte als
einklagbare Rechtstitel in das Verfassungsgesetz umzusetzen.
Darüber
hinaus haben sie sich zum Vorrang der Verfassung
bekannt. Art. 1 Abs. 3 GG sagt ausdrücklich, daß die Grundrechte die
Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung
als unmittelbar geltendes Recht binden.
So ist es Aufgabe aller Staatsgewalten, die
Grundrechte zu respektieren und die freiheitlich- demokratische
Grundordnung zu sichern. Insbesondere ist
es Sache aller Gerichte, den Schutz im Einzelfall
sicherzustellen. Kraft dieses
Rechtsschutzes sind die Grundrechte zu einem
wesentlichen Element unserer Demokratie geworden. Die
Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts hat wesentlich
dazu beigetragen, daß das Grundgesetz konkrete Gestalt gewonnen und
in unserem Gemeinwesen Wurzeln geschlagen hat (Konrad Hesse).
Dessen Grundrechtsjudikatur hat
ein Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger dafür geschaffen,
daß sie staatlichen Maßnahmen nicht wehrlos ausgesetzt
sind. Ihrem Rechtssinn und nicht zuletzt
ihrem Widerspruchsgeist ist es zu verdanken, daß das
Bundesverfassungsgericht als Hüter der Menschen- und Freiheitsrechte
tätig werden kann. Mitunter allerdings scheint es, als
betrachteten die Deutschen das Grundgesetz vorzugsweise unter
dem Gesichtpunkt der eigenen einklagbaren Rechte. Jedenfalls lassen
die sich immer wieder ereignenden Akte von Fremdenfeindlichkeit
und die dabei häufig zu beobachtende Passivität der Umwelt
daran zweifeln, daß die Sensibilität für die Menschenrechte in
Deutschland allgemein verbreitet ist. Der für die
Alt-Bundesrepublik in den letzten Jahren demoskopisch verbürgte
Stolz der Deutschen auf ihr Grundgesetz gestattet noch nicht den
Schluß, daß sie sich insgesamt zu Verfassungspatrioten
entwickelt haben.
Gegenwärtig diskutieren wir
besorgt das Leistungsvermögen der freiheitlichen und
sozialstaatlichen Demokratie. Wir sind Zeugen einer beunruhigenden
Unsicherheit und Ratlosigkeit. Kriminalitätsfurcht, Angst um
den Arbeitsplatz und die Altersrente schaffen nicht das Milieu,
in dem demokratische Bürgertugenden wie politischer
Verantwortungssinn, Kritikverträglichkeit und Toleranz gut
gedeihen. Das
sind unvermeidlich Zeiten eines steifen Gegenwindes für
diejenigen, die die Verfassung der Freiheit
verteidigen. Beispielhaft ist das jüngst an der
Auseinandersetzung um den sogenannten großen Lauschangriff deutlich
geworden.
Diese erst nach
dem Erscheinen der letzten Auflage dieses Bandes am 1. April 1998 in
Kraft getretene Änderung des Grundgesetzes sei kurz
vorgestellt. Sie betrifft das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit
der Wohnung. In den neu gefassten Absätzen 3 bis 6 des Art. 13 GG
wird es zum Zwecke der Strafverfolgung gestattet, das gesprochene Wort
in einer Wohnung abzuhören und aufzuzeichnen, in der sich der
Beschuldigte vermutlich aufhält. Allerdings gilt das nur im Falle
des Verdachts einer besonders schweren Straftat und setzt eine
befristete richterliche Anordnung voraus. Auf diese Weise – so
die Amtliche Begründung – hofft man, das in der Zunahme
begriffene organisierte Verbrechen wirksamer zu
verfolgen.
Die heftige öffentliche
Kontroverse über die Notwendigkeit und Tauglichkeit der
Abhörmaßnahmen sowie die damit verbundene Einschränkung des
Grundrechts machen wieder einmal bewusst, daß die
Demokratie „ein
zukunftoffenes und riskantes Projekt“ ist (Kurt Lenk). Riskant deshalb, weil
wirtschaftliche oder gesellschaftliche Krisen dazu führen können,
daß Garantien unseres Rechtsstaates ausgehöhlt werden. Das
Scheitern der Weimarer Republik ist das abschreckende Beispiel. Diese ist – das sollten wir
nicht außer Acht lassen – nicht an dem unbeirrten Gebrauch der
Freiheitsrechte, sondern an eingewurzelten
obrigkeitsstaatlichen Traditionen gescheitert. Es kommt daher
nicht von ungefähr, daß sich Seebohm, ein Mitglied des
Parlamentarischen Rates, während der Beratung auf eine
Lebensweisheit Benjamin Franklins berufen hat: „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit
aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides
verlieren.“
Mit unserem
gegenwärtigen Rückblick auf die revolutionären Ereignisse des Jahres
1848 feiern wir die Anfänge deutscher Demokratietradition.
Romantisches verklären ist jedoch fehl am Platz, wenn man sich
der historischen Konflikte vergewissert. Erfüllte Hoffnungen, selbst
wenn sie die Gestalt von verbrieften Verfassungsrechten
angenommen haben, sind nicht sakrosankt. Nicht nur
das Scheitern der Weimarer Republik hat uns diese Lehre
erteilt. Die Freiheitskämpfe vor 150 Jahren als ein Vermächtnis
anzunehmen, bedeutet daher die Pflicht, die Grundwerte unserer
Verfassung mit aller Kraft zu bewahren. Denn Gleichgültigkeit und
Passivität in Fragen der Menschen- und Freiheitsrechte sind
Kennzeichen einer Diktatur.
Kritische Bürgerloyalität dagegen ist der Unterpfad der
Freiheit. Das mit diesem kleinen Band eröffnete Wissen über die
Aufbauprinzipien unserer Verfassungsordnung ist eine notwendige
Grundlage auf dem beschwerlichen Weg zu einer humanistischen
Tradition.
Remember:
Darüber hinaus haben sie sich
zum Vorrang der Verfassung bekannt. |
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